Dorsten: Ritt auf der Rasierklinge – SPD analysiert, kritisiert, zeigt Verbesserungsmöglichkeiten auf

Kommunalpolitik


Klare Worte von Friedhelm Fragemann

Rat verabschiedet Haushalt 2017

In der vergangenen Woche verabschiedete der Rat der Stadt Dorsten den Haushalt für das Jahr 2017. Die SPD-Fraktion stimmte geschlossen zu. Traditionell hielten die Vorsitzenden der im Rat vertretenen Fraktionen nach Einbringung des Haushalts in die Sitzung durch die Spitze der Stadtverwaltung ihre Haushaltsreden.
Nachfolgend die Rede von Friedhelm Fragemann, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren,
wo stehen wir am Ende des Jahres 2016?
Wir haben Erfolge, aber wir praktizieren den Ritt auf der Rasierklinge. Wie verfahren wir in den nächsten Jahren, ohne uns kaputt zu sparen? Denn das Kernproblem, die strukturelle Unterfinanzierung von Städten und Gemeinden, bleibt bestehen, obwohl die Entlastungen durch den Bund zu greifen beginnen und der Stärkungspakt bzw. die Konsolidierungshilfen durchaus Wirkung gezeigt haben. Programme wie „Gute Schule 2020“ haben endlich auch Möglichkeiten geschaffen, im investiven Bereich tätig werden zu können und das bilanzneutral. Letzteres erwähne ich ausdrücklich, weil auch hier die Fraktion der Bedenkenträger wegen vermeintlicher Unverträglichkeit mit dem Haushalt mahnend den Zeigefinger erhob.  

Die Genehmigungsfähigkeit des Haushaltes verdanken wir allerdings …

 

 bestimmten, wohl nur temporären Rahmenbedingungen wie etwa einem niedrigen Zinsfuß, höhere Gewerbesteuereinnahmen etc. Einen kleinen Beitrag leisten auch einzelne Einnahmeverbesserungsmaßnahmen wie die Einführung der Wettbürosteuer. Aber das Ganze wird wie ein Kartenhaus zusammenstürzen, wenn sich auch nur eine Stellschraube – siehe o. g. Beispiele – ändert. Zudem droht weiteres Ungemach durch den Bund, der nach wie vor das Konnexitätsprinzip nicht vollumfänglich umsetzt und weiterhin mit dem Fake „Schwarze Null“ die deutsche Spezialität einer Austeritätspolitik verfolgt. Statt Letzterem könnte der Bund durch mehr Steuergerechtigkeit seine Einnahmen erhöhen (Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, mehr Steuerfahnder etc.). Heute zahlt selbst der kleine Handwerker mehr Steuern als Google, Apple und Co. KG.
Die Erweiterung der Pflichtaufgabenpalette droht uns zu erdrücken, die Umlageverbände, insbesondere der LWL, strangulieren uns durch Erhöhung der Hebesätze, wenn auch in diesem Fall der Kreis mittels Mobilisierung von Eigenkapital zu Hilfe geeilt ist. Dafür gibt es demnächst geringere Schlüsselzuweisungen, unter anderem weil Städte steuerstärker gerechnet werden.
Wir müssen zudem feststellen, dass wir einen Investitionsstau ohnegleichen haben, dass der Werteverzehr auch im Bereich Bau- und Verkehrsinfrastruktur enorm ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang beispielhaft auf Brücken und Unterführungen, wie z.B. in Höhe der Kreuzung Himmelsberg/Barkenberger Allee. Hier stellt sich auch die Frage von Sicherheit und Verkehrssicherungspflicht.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass Jugendhäuser auf der Kippe stehen, so an der Olbergstraße, so der Rottmannshof (es fehlen ca. 30.000,- EUR). Hinzu kommen die Imponderabilien hinsichtlich der Finanzierung und Umsetzung von Maßnahmen zur Integration von Alt- und Neubürgern mit Migrationshintergrund als auch bezüglich der Inklusion.

Die Problemlage an den Schulen kann man mit „Sanierungsfall Klassenzimmer“ überschreiben. Es ist nicht möglich, mit den Lehr- und Lernmitteln der 1980er/90er Jahre eine moderne Unterrichtsführung zu gewährleisten. Die Bestuhlung und Bodenbeläge sind teilweise gesundheitsgefährdend. Ersteres ist Folge des völlig unzureichenden Reinigungsstandards, der mit dem Euphemismus „Optimiertes Reinigungsregime“ nur verdeckt wird.

Wir haben massive Probleme bei der Akquirierung und Umsetzung von Fördermitteln, zudem behindert der Personalmangel auch die Weiterentwicklung von Potentialflächen. So ist beispielsweise die Innenentwicklung der durch Rückbau im inneren Kern Barkenbergs freigewordenen Flächen derzeit nicht zu leisten. Dort stehen große Freiflächen zur Verfügung, die durch eine Überplanung mit Bebauungsplänen einer wohnbaulichen Nutzung zugeführt werden könnten. Selbst Pflichtaufgaben können nicht in vollem Umfang erledigt werden.

Mitarbeiter sind inzwischen unerträglichen Mehrbelastungen ausgesetzt. Überstunden werden oftmals gar nicht mehr aufgeschrieben. Die bisher durch die Personalverwaltung vorgenommenen Maßnahmen wie teilweise Wiederbesetzung trotz Wiederbesetzungssperre, Verrechnung Altersteilzeit, Umschichtungen etc. und die von mir eingangs erwähnten Entlastungen durch Bund und Land sind zwar anerkennenswert, aber vor dem Hintergrund eines wachsenden Bearbeitungsstaus und der neuen Herausforderungen keinesfalls ausreichend. Durch Förderprogramme finanzierte Stellen bedürfen der Zuarbeit und setzen damit auch die vorhandene „Stammbelegschaft“ weiteren Belastungen aus. Der Verzicht auf Fördermittel wäre aber der falsche Ansatz, denn die Verbesserung der Stellenzahl rechnet sich letzten Endes. Sie ist - auf Dauer gesehen - rentierlich. Die vorbereitende Bauleitplanung würde letztendlich zu einer Wertschöpfung (siehe Flächen Gerhart-Hauptmann-Schule, Sportplatz Rhade und die schon erwähnten Flächen in Wulfen) führen.

Der Gesundheitsschutz für die Kolleginnen und Kollegen im Rathaus ist derzeit unzureichend. Mit Blick auf die älter werdenden Beschäftigten und den hohen Krankenstand ergibt sich dringender Handlungsbedarf, wie der Personalrat zu Recht festgestellt hat. Arbeitsüberlastungen, Termindruck und ein nicht ausreichender bzw. mangelnder Wissenstransfer werfen die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Wiederbesetzungssperre auf. Anders formuliert: wie viel Geld ist durch die Wiederbesetzungssperre durch den Kamin gejagt worden? Dass Dorsten inzwischen die niedrigste Personaldecke in NRW im Vergleich mit Städten gleicher Größenordnung hat, ist kein Ruhmesblatt. Von 1992 bis 2017 hat sich der Mitarbeiterstab trotz enormem Aufgabenzuwachs von 964 auf 906 verringert.

Was folgt aus all dem, aus dieser zugegebenermaßen kurzen und sicher nicht ganz vollständigen Analyse des Status Quo?

Wir müssen zumindest da nachjustieren, wo Sparmaßnahmen letzten Endes kontraproduktiv wirken, da, wo die Lage besonders brenzlig ist.

I. Stellenplan

Zwar ist hier einiges seitens der Verwaltung, wie schon erwähnt, getan worden, die Anzahl der städtischen Mitarbeiter reicht aber nicht, um allen Erfordernissen gerecht werden zu können. Daher bedarf es zwingend einer Stellenerweiterung zur Entlastung der strapazierten Verwaltungsmitarbeiter und es bedarf der Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Zwecks der Bewältigung außerordentlicher Herausforderungen und der damit verbundenen operativen Aufgaben im Zuge der Umsetzung der aktuellen Großprojekte wie „Wir machen Mitte“, „Gute Schule 2020“ oder ... etc. und zur Entlastung der jetzt schon über Gebühr in Anspruch genommenen Mitarbeiter werden zwei neue Ingenieursstellen in den Ämtern 66 (in 2017) und 61 (in 2018) eingerichtet.

Mit diesen Maßnahmen werden zumindest einige Lücken geschlossen. Finanzierungsmöglichkeiten sind einmal der Verzicht auf eine erhöhte Aufwandsentschädigung für Ausschussvorsitzende, die jetzt ab 2017 möglich wäre, sowie eine Kürzung der Haushaltsmittel ZGM um 60.000 EUR, da das ZGM im nächsten Jahr ohnehin nicht alles abarbeiten kann, was an Aufgaben zu bewältigen ist. Aber ich verweise erneut alternativ auch auf die Möglichkeit der Reduzierung des Personalkostenansatzes bzw. der Personalkostensteigerung auf unter 2 %, da wir deutlich oberhalb der Orientierungsdaten des Landes liegen, wie auch unser Haushaltssanierungsplan auf der Seite 29 ausweist.

Die von uns geforderte zusätzliche Stelle im Amt 66 wird spätestens für das Haushaltsjahr 2018 zur Verfügung stehen. Die vorhandene Personalressource BGM (0,61 Stellen) muss spätestens in 2018 aufgestockt werden. Zunächst werden 50.000 EUR für die Entwicklung eines Konzeptes BGM für 2017 bereit gestellt.

II. Schulen und Jugendhäuser

Die Raumsituation der Schulen muss deutlich verbessert werden, so z.B. an der Albert-Schweitzer-Schule, wo Fachräume fehlen. Die Ausstattung mit Lehr- und Lernmitteln muss in allen Schulen Dorstens modernisiert werden. In einigen Schulen sind auch Mobiliar und Böden zwingend zu erneuern. Das so genannte optimierte Reinigungsregime bedarf einer Überprüfung, da selbst die Grundreinigung nicht in ausreichendem Maße gewährleistet ist.

Das Programm „Gute Schule 2020“ bietet eine gute Grundlage dafür, erste größere

Maßnahmen zu treffen. Da ist die Verwaltung gefordert, einen Kriterienkatalog zwecks Priorisierung vorzulegen. Eine Vergabe auf Zuruf ist inakzeptabel.

Die Arbeit der Jugendhäuser muss gesichert sein, das Haus an der Olbergstraße und der Rottmanshof müssen eine sichere Planungsgrundlage haben. Im Verlauf des Jahres 2017 muss die Finanzierungsfrage geregelt werden. Die Rückführung auf die ursprünglich vereinbarten 30 % Trägeranteil muss aufgefangen werden.

III. Investitionen

Der Investitionsstau muss aufgelöst werden. Der Fake Nachhaltigkeitssatzung, selbst mehrfach von Schwarz-Gelb und vom Bürgermeister unterlaufen, darf kein Hindernis dafür sein, die notwendige Sanierung von Schulen, Brücken, Unterführungen und Straßen, wie oben angesprochen, umzusetzen. Wann, wenn nicht jetzt, bei historisch niedrigen Zinsen, sollen wir investieren? Und sollten wir nicht mit Blick auf die Schulen den klugen Satz des Diogenes beherzigen: „Die Grundlage eines jeden Staates ist die Ausbildung seiner Jugend“?

IV. Umlageverbände

Der LWL muss nachweisen, welche neuen Aufgaben von Bund und Land er denn konkret zu bewältigen hat und vor allem, wann sie greifen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob der LWL schon jetzt vorsorglich Belastungen einpreist, die noch gar nicht akut sind – im Gegensatz zu Städten und Gemeinden. Nebenbei: Dass allerdings führende CDU-Leute nach einem Gespräch mit dem LWL-Kämmerer Dr. Lunemann feststellen, dass „viele nicht wussten, dass der LWL 90% Pflichtaufgaben verwaltet“, ist ein schönes Beispiel für eine postfaktische Herangehensweise bei der Kritik am LWL.

V. Gemeindefinanzierungsgesetz

Es bedarf struktureller Änderungen im Finanzierungssystem der Kommunen statt derständigen Erweiterung projektorientierter Förderungen. Das geht an die Adresse des Landes.

VI. Konnexität

Der Bund muss noch stärker in die Pflicht genommen werden; dem Konnexitätsprinzip muss volle Geltung verschafft werden. So hätten beispielsweise die Kosten der Unterkunft komplett vom Bund übernommen werden müssen. Das wäre jedenfalls die beste Lösung gewesen. Auch bezüglich des Unterhaltsvorschussgesetzes brauchen wir eine Regelung im Sinne der Kommunen.

Mein Dank geht an die Mitarbeiter der Verwaltung für die im vergangenen Jahr geleistete Arbeit und an dieser Stelle insbesondere an die Mitarbeiter der Kämmerei, die sich erneut mit Akribie und großer Sachkenntnis der Problematik und der Lösung der Probleme gewidmet haben.

Die SPD-Fraktion stimmt auf der Grundlage eines gelungenen Parteienkompromisses, der unseren Forderungen weitestgehend gerecht geworden ist, dem Haushalt 2017 zu.

Vielen Dank und Glück auf!

www.spd-dorsten.de

 
 

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