Mehr Demokratie wagen - aber wie? Dorstener Zeitung führte Interview mit Dirk Hartwich

Presse


Wünscht sich eine aktive Bürgebeteiligung in Dorsten: Dirk Hartwich

Der aktive Bürger

Unter dieser Überschrift erschien gestern ein großes Interview in der Dorstener Zeitung mit dem Bildungsobmann der Rhader SPD. Ein Vortrag, den Dirk Hartwich zum Thema Bürgerbeteiligung in der Juli-Mitgliederversammlung gehalten hat, wurde als so interessant eingestuft, dass der Redaktionsleiter Stefan Diebäcker das folgende Interview mit ihm führte: 

RHADE. Bürgernähe – das schreiben sich wohl alle Kommunalpolitiker in Dorsten auf die Fahnen. Doch reicht das berühmte „offene Ohr“ für die Menschen in der Stadt? Müsste es nicht mehr aktive Bürgerbeteiligung geben, bevor entschieden wird?

Dirk Hartwich, Bildungsobmann des SPD-Ortsvereins Rhade, hat dazu kürzlich einen Vortrag vor seinen Parteifreunden gehalten. Redaktionsleiter Stefan Diebäcker sprach mit ihm.

Herr Hartwich, eigentlich dachte ich ja, die Bürgerbeteiligung in Dorsten ist schon ziemlich gut. Liege ich falsch?

Nein, vieles läuft tatsächlich besser als vor einigen Jahren. Aber das heißt ja nicht, dass man es nicht vielleicht noch besser machen könnte.

Warum liegt Ihnen das Thema so am Herzen?

Das hat mit der sinkenden Wahlbeteiligung zu tun. Nicht wenige Experten sehen dadurch unser Demokratie-Modell in Akzeptanzgefahr. Die Entscheidungshoheit der gewählten Ratsmitglieder stelle ich ja nicht infrage. Wenn Politiker, Parteien und Verwaltung aber dem „Volk richtig aufs Maul schauen“ wollen, müssen sie mehr als bisher versuchen, auch die Bevölkerungsgruppen an der Meinungsbildung zu beteiligen, die zum repräsentativen Querschnitt aller Bürger gehören.

Der Bürgermeister und auch Parteien bieten regelmäßige Sprechstunden an. Vor wichtigen Entscheidungen gibt es Info-Veranstaltungen, seit diesem Jahr auch Stadtteilkonferenzen mit der Befugnis für die Mitglieder, über Zuschüsse aus dem Bürgerbudget entscheiden zu dürfen. Der richtige Weg?

Ja, das ist zwar vielleicht etwas mühsam manchmal, aber auch alternativlos. Wer die Akzeptanz der Einwohner für zukünftige Entwicklungsentscheidungen gewinnen möchte, muss auf die Menschen zugehen. Das trägt auf jeden Fall zur positiven Identifikation mit dem eigenen Lebensmittelpunkt bei.

Und das reicht Ihnen nicht?

Die Menschen sollten nicht nur informiert, sondern noch mehr beteiligt werden. Das ist ein weites Spektrum, kaum etwas ist verbindlich. Es gibt das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid mit einem verbindlichen Ergebnis, aber die Hürden sind hoch, die Kosten auch. Was allgemein Bürgerbeteiligung genannt wird, ist in der Regel eine nicht repräsentative Meinungsabfrage von Bürgern, die den Weg zu einer Info-Veranstaltung gefunden haben und dort mitdiskutieren dürfen. Das hat mit echter Beteiligung ziemlich wenig zu tun.

Weil die Politiker letztlich sowieso machen, was Sie wollen?

Möglicherweise. Natürlich helfen alle Meinungen und die besonderen Ortskenntnisse der Anwohner, aber wenn sie den parteipolitischen Vorgaben widersprechen, wird es schwierig. Letztlich sind es ja „nur“ Empfehlungen von zufällig anwesenden Bürgern.

Es gibt aber auch Workshops, in denen Fachleute, Verwaltungsmitarbeiter und Bürger Lösungen erarbeiten, zum Beispiel zum Demografiewandel oder der Einführung einer Sekundarschule.

Ja, das sind sehr gute Ansätze, Dorsten attraktiver zu machen und damit die Lebensqualität zu verbessern. Da kommen wir dem Begriff der „Bürgerbeteiligung“, wie ich ihn interpretiere, schon näher.

Haben Sie bei Ihren Recherchen auch andere Formen der Bürgerbeteiligung kennengelernt?

Schon im alten Griechenland gab es das Losverfahren. Das ist im letzten Jahr auch in Irland praktiziert worden. Da ging es um die Frage, ob Abtreibungen legalisiert werden sollten. Es wurden 99 Männer und Frauen ausgelost, sie waren ein Abbild der Gesellschaft. Ein Jahr lang sollten sie sich an einem Wochenende pro Monat sachkundig machen, beraten, debattieren und den Abgeordneten eine Empfehlung mit auf den Weg geben.

Das hat es doch auch in Deutschland schon gegeben...

Stimmt, bei der Suche nach einem Standort für ein atomares Endlager. Zwei Bürger sollen mit einem Expertengremium nach einer Lösung suchen. 70 000 Menschen wurden telefonisch befragt, 123 kamen in die engere Auswahl, zwei wurden ausgelost, darunter eine 23-jährige Studentin.

Ihr Ernst? Wir losen demnächst in Dorsten aus, wer an Entscheidungen mitwirken kann?

Warum nicht? In Oberhausen-Osterfeld hat sich ein Arbeitskreis, bestehend aus 25 Mitgliedern, unter externer Fachmoderation die Frage gestellt, wie eine verlässliche Grundlage für eine frühzeitige und aktive freiwillige Bürgerbeteiligung aussehen könnte. In diesem Arbeitskreis saßen auch neun Bürger, die sich nach einem öffentlichen Aufruf gemeldet hatten und dann per Los bestimmt wurden.

Das Ergebnis?

Es wurde zum Beispiel verbindlich festgelegt, wann in Osterfeld Bürger beteiligt werden – bei Vorhaben mit gesamtstädtischer Bedeutung zum Beispiel, bei größeren Bauprojekten, aber eben auch bei Stadtteilkonzepten für Verkehrplanung, beim Bau einer Turnhalle oder Zielgruppenvorhaben wie Spielplätzen und Jugendtreffs. Ich glaube, die Oberhausener Beteiligungsleitlinien und das Auswahlverfahren dazu wären auch für Dorsten eine interessante Zukunftsaufgabe, um bei wichtigen Vorhaben einen repräsentativen Querschnitt der Bürgerschaft zu haben.

Fällt Ihnen ein Vorhaben in Dorsten ein, wo diese neue Form der Bürgerbeteiligung greifen könnte?

2019 läuft der Konzessionsvertrag für das Gasnetz aus. Das wäre eine große Chance, neben den Parteien frühzeitig auch interessierte Bürger an der Fragestellung zu beteiligen, ob die Dorstener Netzgesellschaft nicht nur das Gasnetz übernehmen sollte, sondern ob sich noch weitere Geschäftsfelder ergeben könnten. Letztlich auch, ob nicht das Ziel die Weiterentwicklung der Netzgesellschaft zu einem Stadtwerk Dorsten die beste Zukunftsperspektive wäre. Ich könnte mir gut vorstellen, dass ein solcher Arbeitskreis zu einem Viertel mit interessierten Bürgern, die repräsentativ die Dorstener Bevölkerungsstruktur abdecken, gebildet wird.

Was hält eigentlich die Stadt von Ihrer Idee?

Joachim Thiehoff, Leiter des Büros für bürgerschaftlichen Engagements und Ehrenamt, hat mir geschrieben, dass die konsequente Aufteilung des Bürgerbudgets auf die Stadtteile schon als angestrebte Systematik verstanden werden kann. Bürgerbeteiligung ist für ihn aber vor allem Haltung und Methodik zur Kooperation zwischen der Bevölkerung, den politischen Ebenen und der Stadtverwaltung.

Das klingt ein wenig nach Absage. Sind Sie enttäuscht?

Nein, überhaupt nicht. Meine Gedanken sind vor allem eine Anregung an Politik und Verwaltung, das zukunftsweisende Thema „aktive Bürgerbeteiligung“ auf die Tagesordnung zu setzen, um die in unserer Stadt bereits vorhandenen Strukturen zu erweitern und zu verbessern.

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Der Aufsatz, der Grundlage des Vortrags von Dirk Hartwich in Rhade war, trägt den Titel „Mehr Demokratie wagen – aber wie?“ und wurde für den neuen Heimatkalender 2018 verfasst.

 
 

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