Der tiefdunkle Schatten über Deutschland wird nicht verschwinden

Gesellschaft

Für einen grässlichen Völkermord in Namibia tragen wir Verantwortung

Deutschland wird weltweit gelobt, die mörderischen Verbrechen der Nazizeit (1933-1945) an Juden, Sinti und Roma, Behinderten, Homosexuellen und politisch Andersdenkenden akribisch aufgearbeitet, Unrecht beim Namen genannt und Täter verurteilt zu haben. Spät, aber nicht zu spät. Der Unterzeichner dieses Wochenendkommentars war seit 1982 daran beteiligt, den Schleier des Vergessens auch der Dorstener Verbrechen beiseite zu ziehen (Dorsten unterm Hakenkreuz). Dass nur 30 Jahre vor den Nazi-Morden Deutsche in ihrer Kolonie in Afrika unvorstellbare Gräueltaten begingen, ist hierzulande überwiegend in Vergessenheit geraten. Nach und nach erfahren wir, dass die kaiserliche Truppe vor Ort die Auslöschung der Stämme Nama und Ovaherero auf bestialische Weise durchführte, um Land für Deutschland zu konfiszieren. Seit Jahren fordern die Hinterbliebenen Wiedergutmachung. Seit Jahren haben mehrere deutsche Nachkriegsregierungen mit abenteuerlichen Begründungen, sich vor der Verantwortung gedrückt. Eine erschüttert besonders. So steht in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, dass das Völkergewohnheitsrecht bereits Anfang des 20.Jahrhunderts einen Schutz für Individuen vor unmenschlicher Behandlung zwar vorsah, der aber galt nach damaliger Rechtsauffassung nur für zivilisierte Völker. Nicht für Nama und Hereros. Deren Schädel lagern zum „Beweis“ dieser These noch heute in deutschen Archiven. Der Versuch Deutschlands sich mit 1,1 Mrd. Euro, getarnt als Entwicklungshilfe über 30 Jahre (!) freizukaufen, ist nicht nur peinlich, sondern weiteres Unrecht. Namibia ist seit 1990 ein unabhängiger Staat. Ist damit das Kapitel „Besatzung“ abgeschlossen? Drei Zahlen: Im Jahr 1902 besaßen deutsche Siedler 6% der Landfläche. Nach dem Völkermord waren es 20%. Heute verfügt die kleine Minderheit deutsch- und europäischstämmiger Namibier 44% der gesamten Fläche.

Dirk Hartwich

Grundlage des persönlichen Kommentars ist der ZEIT-Bericht „Das Gift der Vergangenheit“ vom 25. Mai 2023

 
 

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