Klaus Wowereit spricht eine klare, deutliche Sprache. Und das ist auch gut so.

Bundespolitik

Die SPD muss sich öffnen

Die Kurzatmigkeit von Integrationsdebatten wird der tatsächlichen Herausforderung nicht gerecht. Integration muss nachhaltig diskutiert werden. Und: Zuwanderung ist hierbei nur eine Dimension.
Begreifen wir das Thema doch endlich mal als eine dauerhafte umfassende gesellschaftliche Aufgabe, derer wir uns mit langem Atem widmen müssen, und hören wir damit auf, dieses wichtige Thema in immer kürzer werdenden Zyklen aktionistisch und vor allem medial zu diskutieren.

In diesen Phasen werden uns permanent eindimensional Statistiken und Negativbeispiele vor Augen geführt. Probleme müssen wir benennen, um sie zu erkennen und lösen zu können - das steht außer Frage, aber um Integration erfolgreich zu gestalten, brauchen wir auch eine verstärkte Darstellung von Beispielen erfolgreicher Integration, die es millionenfach in Deutschland gibt. Hiervon können wir lernen, hier finden wir Vorbilder, die motivieren und deutlich machen: „Du kannst es schaffen, wenn Du willst und wir helfen Dir dabei.“
Das ist der Ansatz, der auch in der SPD-Zukunftswerkstatt „Integration“ verfolgt wird.
Die Vereinbarung „Zehn Ziele Zukunftswerkstatt“ unterstreicht diesen Anspruch: „ Für jeden, der sich für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität engagieren will, ist Platz in unserer Partei – dieses Kernversprechen der deutschen Sozialdemokratie müssen wir erneuern und zeitgemäß weiterentwickeln. In einer Zeit, in der Deutschland vielfältiger wird, immer mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Weltanschauung in unserem Land zusammenleben, muss auch die SPD selbst vielfältiger werden, um Volkspartei zu bleiben. Mit unserer Politik wollen wir gesellschaftliche Vielfalt und Teilhabe fördern. In unserer Partei wollen wir sie vorleben.“
Dieses Ansinnen ist auch Teil einer Resolution zum Thema „Sozialdemokratische Integrationspolitik“, die jüngst auf dem Bundesparteitag in Berlin beschlossen wurde. Lasst uns die anstehende Parteireform mit der klaren Ambition nutzen, die Zusammensetzung des nächsten Parteivorstands erkennbar vielfältiger zu gestalten.
Als Sozialdemokratische Partei Deutschlands kümmern wir uns seit jeher um soziale Integrationsaspekte. Unser Ursprung ist die Arbeiterbewegung. Wir sind aus den so genannten Arbeiterbildungsvereinen als Partei hervorgegangen. Das war 1863. Umfassende gesellschaftliche Teilhabe - ökonomisch, kulturell und politisch - ist das Kernziel sozialdemokratischer Politik. Dies prägte die Frauenbewegung ebenso wie die Debatte in den 60er/70er Jahren, als es um die Frage ging, wie es uns gelingt, mehr Kindern aus Arbeiterfamilien den Zugang zu hohen und höchsten Schulen zu ermöglichen.
Auch heute haben wir Bevölkerungsgruppen, für die der soziale Aufstieg schwierig ist. Hier setzt sozialdemokratische Integrationspolitik an. Das gilt für Kinder mit Migrationshintergrund ebenso wie für Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund.
Für uns als SPD muss feststehen: Integration ist kein reines Migrationsthema. Wir dürfen Integration nicht in erste Linie als Frage von ethnischer Herkunft oder Religionszugehörigkeit betrachten. Integration ist eine zutiefst soziale Frage und damit eben auch eine originiär sozialdemokratische Aufgabe, die ganz eng mit Aufstieg und Aufstiegswillen, mit Bildung und Qualifizierung und Perspektiven zusammenhängt. Es gibt natürlich migrationsspezifische kulturelle Aspekte, aber die Beseitigung von Integrationsdefiziten erfolgt im Wesentlichen über die Beantwortung sozialer Fragen, denn dort, wo arme Migrantinnen und Migranten leben, leben auch die Armen ohne Migrationshintergrund.
Als SPD setzen wir auf Anreize und Angebote. Hier in Berlin haben wir deshalb schon längst einen Paradigmenwechsel zu verbesserten Teilhabemöglichkeiten eingeleitet:
• Die gebührenfreie Kita hilft, mehr Kinder aus sozial schwächeren und aus Familien mit Migrationsgeschichte an frühkindlicher Bildung teilhaben zu lassen.
• Hier wird das Erlernen der deutschen Sprache bereits sehr früh und breit gefördert. Mit 60 Millionen Euro erhalten die Hälfte aller Berliner Schulen Mittel für die Sprachförderung.
Seit 2008 gibt es eine Sprachstandsfeststellung bei Vierjährigen. Wenn es Defizite gibt, schließt sich eine einjährig verpflichtende Sprachförderung an.
• Die Berliner Schulreform ist ein Integrationsprogramm. Sie beendet Diskriminierung, denn die neue Sekundarschule schafft Chancen gerade für diejenigen, die bisher stets auf der Verliererseite waren. Alle Sekundarschulen sind Ganztagsschulen und bieten die Möglichkeit, alle Abschlüsse zu machen.
• All diese Ansätze der vergangenen Jahre zeigen Wirkung: Jedes Jahr sinkt die Zahl der Schulabbrecher.
Diese Linie müssen wir fortsetzen – auch als Bundes-SPD. Um nur einige Punkte und Forderungen zu nennen:
1. Wir brauchen frühe Sprachförderung
2. Wir brauchen eine am Bedarf orientierte ausreichende Finanzierung von Sprachkursen
3. Wir brauchen Integrationskurse und keine ewigen Wartelisten
4. Wir bauen auf Anreize für frühkindliche Bildung
5. Wir brauchen Ganztagsbetreuung – auch und gerade in den ländlichen Gebieten, damit Frauen auch besser Familie und Beruf miteinander in Einklang bringen können.
6. Wir brauchen qualitativ gut ausgestattete Bildungsstätten
7. Wir setzen auf individuelle Förderung durch Lernpatenschaften
8. Wir wollen mehr Erzieherinnen und vor allem Erzieher
9. Wir brauchen eine verbesserte an den Gegebenheiten einer Einwanderungsgesellschaft orientierte Aus- und Weiterbildung unseres pädagogischen Personals
10. Wir brauchen aktives Quartiersmanagement, um Fehlentwicklungen in Vierteln und sozialen Spaltungstendenzen entgegenwirken zu können
11. Wir müssen die Eltern gewinnen, sie stärker einbinden und unterstützen, indem wir verstärkt auf Eltern-Kind-Zentren setzen, die an die Bildungsstätten angedockt sind.
12. Wir müssen dafür sorgen, dass jedes Kind in diesem Land ein warmes Mittagessen bekommt.
13. Wir müssen endlich die Arbeitsmigration mit einem Punktesystem regeln
14. Wir setzen uns ein für die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen
15. Wir wehren uns gegen ethnische Diskriminierung bei Bewerbungen
16. Wir wollen von den Unternehmen lernen, die bereits erfolgreich auf diversity management setzen
17. Wir wollen Unternehmensgründungen von Menschen mit Migrationsgeschichte fördern
18. Wir wollen die interkulturelle Öffnung unserer Verwaltung
19. Wir setzen auf integrierte Stadtentwicklung
20. Wir arbeiten an einer Aufklärungs- und Informationskampagne in Sachen Islam
Das alles ist sozialdemokratische Integrationspolitik. Sie ist substanzieller als temporäre Debatten. Lasst uns alle gemeinsam daran mitwirken, diese Ziele umzusetzen, um diesen populistischen, zum Teil auch medial angeheizten, Kampagnen, die wir in den letzten Wochen wieder in einer ganz besonderen Ausprägung erleben mussten, entgegen zu wirken.
Ich sorge mich massiv, um den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft. Es ist doch so:
Was wir jetzt wieder erlebt haben und zwar zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit, ist doch das leider geglückte Ansinnen, dass versucht wurde, Ängste und Verunsicherungen von Frauen und Männern über ihre eigene Zukunft auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zu projizieren.
So wurden bei Westerwelles „spätrömischer Dekadenzdebatte“ Geringverdiener gegen Arbeitslose in Stellung gebracht, und jetzt erfolgte die Projektion auf bestimmte Ethnien oder den „Islam“. Ich warne davor: So etwas zerreißt unsere Gesellschaft.
Wohin das führt, sehen wir doch in Schweden, haben wir zuletzt auch in Österreich oder den Niederlanden gesehen. Solche Pauschalisierungen sind brandgefährlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Diskriminierungen und Stigmatisierungen vergiften das gesellschaftliche Klima, fördern die Entstehung von Parallelgesellschaften, führen zu Abschottung und bedienen extremistische Kräfte auf beiden Seiten. Hier muss die SPD stehen und mit aller Kraft dagegen ankämpfen. Wir brauchen eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung – nur so können Missstände und Fehlentwicklungen ohne Diskriminierung kritisiert und wirksam behoben werden.
Also: Schluss mit Pauschalisierungen und Schluss mit diesem gefährlichen Spiel.
Wenn uns das nicht gelingt, werden wir bald ganz andere Probleme in unserem Land bekommen.

 
 

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